Mittwoch, 15. Dezember 2010

2. Szene

2. Szene



Die Bühne ist leer. Am rechten Rand eine Aufzugstür, darin A. Rechts dahinter M. Vor der Aufzugstür G und F.


F:

Gustav kommst du?


G:

Ich heiße nicht Gustav.


F:

Aber natürlich heißt du Gustav. Jetzt komm. Wir haben Schichtwechsel.


G:

Ich heiße nicht Gustav.


F:

Wie sonst?


G:

Hab ich vergessen. Ich so vergesslich geworden. Die Löcher nehmen zu. Dunkelheit dringt in mich ein. Löscht mich aus.


F:

Red nicht so theatralisch daher. Du wirst alt, das ist alles.


G:

Auch mein Alter habe ich vergessen. So alt bin ich schon.

Gustav ist nicht mein Name.


A:

Stimmt.


F:

Wer spricht da? Die Stimme kommt mir bekannt vor. Vater bist du das?


A:

Nein.

Ich bin es.

Dein Vater ist schon lange tot.


G:

Du.

Schon wieder. Aus dir kommt nicht Gutes.


A:

Nur deine Kollegen.


G:

Du bist das also.


F:

Du?


A:

Ich. Ja. Der Aufzug. Die Maschine. Ich brauche das Passwort.


F:

Aber du kennst uns doch.


A:

Trotzdem.


G:

Nein. Nein. Nein. Dann fängst du wieder mit dem Reimen und Dichten an und dem philosophischen Gewäsch, das selbst Götter nicht verstehen.


A:

Du musst es ja wissen.


G:

Wie bitte?


A:

Poesie schadet nie.


G:

Geh’, hör schon auf. Wir haben das Passwort nicht genannt.


M im Aufzug hockend:

Mein Gott. Mein Gott.


G:

Wer ist der Kerl?


F:

Ich weiß nicht, aber er kommt mir bekannt vor.


M:

Erst wenn der letzte Stuhl zersägt ist, wirst du wissen, was unter der Wasseroberfläche ist.


F:

Wie bitte?


M:

Erst wenn die Säge keine Zacken mehr hat, fallen sie dir nicht mehr aus der Krone.



F:

Wie bitte? Wirst du auch noch frech? Du weißt nicht, was sich gegenüber einer Frau gehört.


G:

Ha!


M leise:

Und wie ich das weiß!

M laut:

Der Frau gegenüber gehört es sich, ein Mann zu sein.


F lachend:

Dass ich nicht lache. Von welchem Planeten kommt der denn her?


M:

Direkt von deinem. Weißt du nicht mehr? Wir haben Stühle zersägt. Schöne Holzstühle aus den Wäldern deines Vaters. Geschnitzt aus dem Holz deines Vaters.


F:

Um Gotteswillen, ich habe noch nie Stühle zersägt.


M:

Doch! Mit einer alten u. kaputten Säge. Sie gehörte ebenfalls deinem Vater. Deinem sauberen Vater.


F:

Mit dem hab ich nichts mehr zu tun. Ich ging aus dem Haus u. schlug nicht einmal die Tür hinter mir zu.


M:

Du gingst in seinen Vorgarten u. kümmertest dich um die Hecken, die verbergen sollten, was da geschah.


F:

Ich habe jetzt meinen Gustav.


G:

Ich heiße nicht Gustav!


F:

Meinen Gustav.

(F schmiegt sich an G)

Erinnere mich also nicht an den Alten. Ich habe keinen Vater mehr.


G:

Hör auf. Wer ist der Kerl?


F:

Niemand.



A:

Das ist der Mann.


F:

Aha.


A:

U. du bist die Frau.


G:

U. ich bin dann wahrscheinlich Gott oder wie?


A:

Genau.


G lacht:

Der spinnt.


A:

Genau.


M:

Du weinst gar nicht.


F:

Ich weine nie. Ich habe nie geweint. Red nicht so saudumm daher. Waren wir zusammen in der Schule? Das ist’s. Wir waren zusammen in der Schule. Du warst der Streber von der letzten Reihe, der mich immer beobachtet hat. Du bist doch der Gustav?


G:

Ich bin Gustav!


F:

Ich dachte, du bist nicht Gustav. Jetzt also auf einmal doch. Kannst du dich bitte mal entscheiden. Wie soll man denn so Ordnung ins Leben kriegen?


G:

Nein. Ja. Nerv nicht.


M:

Ich bin auch nicht Gustav.


A:

Er hat Recht.


G gespielt erleichtert:

Dann bin ich also auch nicht Gott.


A:

Doch.


G:

Der spinnt doch komplett. Da ist doch was durchgebrannt.


A:

Noch nicht.


G:

Der spinnt.


A:

Genau.


M:

Wo wollt ihr denn hin? Es ist schon spät.


F:

Wie haben Schichtwechsel. Nach unten.


G:

In die Tiefe.


M:

Was um Himmelswillen wollt ihr denn ausgerechnet da?


F:

Da gibt es immer etwas zu erledigen.


G:

Ich war da schon lange nicht mehr. Mich zog’s himmelwärts in die Fremde. Es konnte nicht fremd genug sein. Im Himmel liegt das Vergangene.


A:

Stimmt. U. im Keller liegen die Geschichten von morgen.


G:

Ich komme aus der Nacht.


M:

Aus welcher Nacht.


G:

Aus der Nacht davor.


F:

Das sagst du immer. Überleg dir doch mal einen neuen Spruch.


A:

Mit dem richtigen Passwort könnte ich helfen.




F:

Du bist ganz u. gar nicht mein Ding. Du bist nur kalt u. mechanisch u. äußerlich. Du kennst das Innere nicht.


A:

Doch. Erinnerst du dich nicht?


F:

Ich kenn dich nicht. Ein sprechender Aufzug. Das hat’s ja noch nie gegeben.


G:

Stühle zersägen. Finde ich eigentlich eine lustige Idee. Hast du wirklich keine Säge?


F:

Nein.


A:

Hat sie. Sie versteckt sie unter den Kleidern. Noch je hatte sie etwas zu verbergen. Sie stand in der Ecke u. hielt die Arme um sich verschränkt u. zitterte u. hielt sich an der Säge fest. Niemand durfte es sehen. Aber es geschah so.


G fasst ihr an den Rock, will ihn hochheben.


F:

Lass das. Darüber sind wir hinaus. Das haben wir besprochen.


G:

Wir haben was besprochen? Ich erinnere mich nicht. Was habe ich denn gesagt?


F:

Dass es jetzt gut ist u. du dich ausruhen willst. Dass du eine Ruhe willst. Deshalb ging ich mit dir mir. Dass endlich eine Ruhe einkehre. Dass endlich ein Moment sei, in dem wir am Fenster stehen könnten u. rausschauen u. müssten nicht hinaus wollen. Immer nur hinaus wollen. Was ist denn da draußen? Da ist doch nichts. Bei uns wäre alles gewesen. Wir hätte da stehen können u. schauen u. wären ruhig u. satt gewesen. Es hätte nicht gerufen u. es hätte nicht an meinen Kleidern gezogen u. es hätte mir nicht die Eingeweide aufgefressen. Da wäre nicht so ein Verlangen gewesen u. so ein Es-nicht-können, so ein Nicht-von-der-Stelle-sich-rühren-können, obwohl man nichts anderes will, als auf der Stelle stehen bleiben zu können. Dann hätte man wenigsten was gehabt, eine Stelle gehabt, auf der man dann gestanden hätte, so mit beiden Füßen auf dem Boden, so mit den Händen am Heizkörper u. da wäre Wärme drin geflossen u. hätte uns gewärmt, man hätte sich nicht mehr bewegen müssen u. wäre doch so ganz am Leben gewesen, so richtiggehend lebendig, so außerordentlich empfangsbereit, nahezu zueinander wäre man da gewesen. Aber dann wusstest du nichts mehr sagen. Aus dir kam nichts mehr. Du bist so unendlich leer. So unendlich nicht fassbar. So unendlich nicht da. Wenn du da bist, habe ich immer das Gefühl, dass du nicht da bist, so gänzlich woanders, so unumwunden deplaziert.

Doch du lamentiertest nur, du hättest genügend gezeugt, du hättest das alles ja gezeugt, also hast du auch die Verlassenheit gezeugt.

Erinnere dich, wie wurden platonisch, wir wurden eine Josephsehe. Du bist nur da, damit du da bist, doch wenn du da bist, bist du nicht da.


G:

Nein. Nein. Nein. In der Nacht davor, da hab ich dir doch mein Ding, mein großes, weltallriesiges Ding gezeigt.


A:

Ich bin größer.


G:

Halt du dich da raus!


M:

Ich will eure Schweinereien nicht hören. Eure seltsamen Spielchen u. Mätzchen u. Sperenzchen. Ich will das nicht hören.


F:

Nein, nein, nichts hast du mir gezeigt. Mein Vater hatte mir seins gezeigt. Die Sau. Seitdem interessieren mich die Dinge nicht mehr. Nur eine Ruhe, die habt ihr mir nicht gezeigt. Auch keinen Trost. Da war kein Trost, kein Sagen, setz dich auf den Stuhl, ich pass schon auf, dass nichts passiert. Ja, es ist nichts passiert. Aber hätte ich das wissen können? Wie nur hätte ich das wissen können? Dass du sowieso geradezu unfähig bist, etwas passieren zu lassen. Deswegen verdrehte sich das Innere u. wollte hinaus, sich hinaus aus diesem gesichtslosen Fenster stürzen.


A:

Dein Vater war ein Schlappschwanz, er hat immer nur gesägt.


F:

Mein Vater sägte nicht, er war ein großer Mann in der Bank.


A:

Er war ein hündischer Pisser vor dem Baumstumpf.


G:

Vor dem Herrn bittschön. Vergesst mir den Herrn nicht.


F:

Seit wann bist du denn so drauf?


M:

Verlass diesen Kerl!


F:

Nein. Meinen Gustav? Niemals.


M:

Verlass ihn. Du musst sägen. Er sägt nicht. Aber du musst sägen. Wenn du aufhörst zu sägen, wirst du nicht mehr du selbst sein.


G:

Ich kann auch sägen, so ist das nicht. Ich liebe sogar das Geräusch des Sägens. Das Geräusch der Sägeblätter im Holz, wenn sie es auseinandersägen.


A:

Du ängstigst dich doch vor jedem Gerät. Du würdest dir alle Finge abschneiden. Du machst dir doch in die Hose. Geräte; Maschinen: Ich; wir sind nicht dein Ding. Du hast gar kein Ding. Dein Ding ist dir abgefallen, u. du lässt es zersägen.


G:

Was schwätzt der da?


F:

Können wir langsam vielleicht mal fahren?


A:

Wie du willst. Du musst nur akzeptieren, dass ich dein Ding bin.


M:

Lass den da zurück. Lass den Pisser, den Hosenscheißer zurück.

(Leise)

Ich bitt dich.


G:

Pass auf, ich verfluche dich.


M:

Du bist der Falsche.


G:

Aber du bist der Richtige?


M:

Ich bin der Mann u. sie ist die Frau.


A:

Genau.


G:

Hör mit der Reimscheiße auf!


F:

Mit mir redet gar niemand mehr.


A:

Ich muss weinen.


F:

Aufzüge weinen nicht.


Es tropft im Aufzug.


A:

Doch. Siehst du.


F:

Was ist denn?


A:

Nichts.


M:

Das kommt mir bekannt vor.


G:

Jetzt ist aber alles gut.


F:

Lass deine Sprüche.


M:

Ich komme mit.


A:

Ich auch.


F:

Das will ich doch hoffen.


G:

Muss das sein?


A:

Muss.


G:

Du weißt sowieso das Passwort nicht. Du dürftest nicht reden.


A:

Du hast mir nichts zu sagen.


M leise:

Schieß die beiden in den Wind u. komm mit mir mit.


F:
Wie stellst du dir das denn vor? Wir müssen den Aufzug nehmen u. er fährt nur in den Keller.


M:

Bist du sicher?


F:

Ich werde doch noch mein eigenes Haus kennen.


G:

Dein Haus. Das ist mir neu.


F:

Doch. Das hab ich geerbt.


G:

Von wem?


F:

Von meinem Vater.


G:

Ich dachte, mit dem hast du nichts zu tun?


F:

Aber das Haus nahm ich trotzdem. Es ist das mindeste. Wo hätte ich auch sonst hin sollen? Er hätte mir allerdings einen Palast vermachen müssen.


M:

Nie zufrieden.

(beiseite)

Ich liebe sie trotzdem. Es wird nicht gut gehen. Trotzdem.


F:

Was murmelst du da?


A:

Er liebt dich.


M:

Halt die Fresse, du Absturzgerät.

Glaub dem nichts.

Ich dachte, du wärest mein Ding u. jetzt verrätst du mich.


A:

Du bist schon lange verraten.


G:

Ja, er ist ein Verräter.


A:

Nein du.


G:

Du bist nicht mein Ding, also schweig.


M:

Was ist im Keller?


F:

Nichts. Wieso?


M:

Wieso wollt ihr dann hin?


F:

Wo sollen wir sonst hin?


M:

Nun.


F:

Du weißt doch. Schon vergessen, es gibt …


G:

Sag das dem nicht. Sonst kommt er wirklich mit.


A:

Die Zeit ist um. Ich bin jetzt bereit.


F:

Jetzt.


G macht eine Geste.


F schweigt


M zieht seine Beine an. Alle steigen ein. Tür zu.


A:

U. los geht’s.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen