Mittwoch, 15. Dezember 2010

3. Szene

3. Szene


Ein weißer Raum. An der linken Wand ein Koffer, daraus läuft rote Flüssigkeit aus. Der Automat steht im linken Eck. Im rechten Eck kauert G auf dem Boden. An der rechten Wand M. F in der Mitte des Raumes auf allen Vieren. Sie wischt mit einem kleinen Lappen den Boden.


G:

Mach das weg. Mach das weg. Los mach das weg. Ich ertrage diese Realität nicht. Ich ertrage die Farblichkeit nicht. Weiß muss es sein. Die Tiefe muss weiß sein. Weiß u. rein. Mach das weg. Lasst mich hier verharren. Stellt den Automaten vor mich hin. Auch wenn ich ihn nicht leiden mag, er wird mich schützen. Mach das weg, Frau!


F:

Ich mach ja schon. Mein Gott, reg dich doch nicht so auf.


M:

Aber das ist doch nur rote Farbe, die da ausläuft. Ich schau mal nach.

(bewegt sich nicht)


A:

Nein. Das darf man nicht.


M:

Warum nicht?


A:

Weil man es nicht darf.


F singt:

Draußen auf dem Land, da hab ich einen gekannt, der sang, wie keiner kann, der sang wie’n richt’ger Mann.


G:

Du bist ja fröhlich.


F:

Man muss das Schreckliche sich schön gestalten, dann geht es locker von der Hand.


G:

Ja, das Schreckliche. Es ist schrecklich. Es erinnert mich an etwas. Ich weiß nicht an was, aber das ist keine rote Farbe. Mir träumte, da liefe etwas aus, das liefe aus mir, u. es floss in die Luft u. alles wurde schwer u. verhangen. U. da waren Schreie. Piepsende Schreie. Ich schlug um mich. Ich rannte davon. U. am Ende war ich bei euch. Nach der Nacht. U. saß auf dem Stuhl.


A:

Doch. Es ist abwaschbare, rote Farbe. Deswegen wäscht sie es ab.


F singt:

Draußen in der Stadt, da wusst ich, was ich hat, da hat ich einen, der kann, da hat ich nen richt’gen Mann.


M auf A zeigend:

War das nicht sein Metier? Aber der alte Kasten ist ein wenig maulfaul geworden. Die Tiefe bekommt ihm nicht.


A:

Ich kenne keine Tiefe. Wir sind so tief als wie zuvor. Ihr wollt immer nur anderes glauben.


G:

Mir träumte, ich spielte als kleines Kind im Sand u. formte Figürchen u. darüber freute ich mich so sehr, dass ich springen musste. U. dabei trat ich auf die Figürchen u. konnte plötzlich fliegen u. flog in die Höhe u. es wirbelte mich davon, direkt in die Wolkendecke hinein. Da lag ich dann wie ein Greis, der schlottert u. Gespenster sieht.


M:

Jetzt fängt der auch noch an. Die Passwörter sind zu einfach.


A:

Es sind immer die Wörter der Sehnsucht.


M:

Ach, u. wie lautet dann meins?


A:

Das weißt du.


F weint:

Draußen auf dem Mond hab ich einem beigewohnt, der wusste, was er kann, es war im Mond der Mann.


M lacht:

Warum weinst du? Da ist nur der dran Schuld. (Auf G zeigend)


F:

Ach, der. Ja. Vielleicht ist er dran Schuld.


A:

Nein.


G:

Was schwätzt ihr da? Du sollst putzen. Vorher hab ich keine Ruhe. Ich kann das Rot nicht mehr sehen. Es erinnert mich. Es erinnert mich an eure Ehekriege. An eure Lügen. Ihr lügt auch mich an.

Du (auf F zeigend), du lügst. Du lügst ununterbrochen u. sagst noch schamlos, du bekennest alles.


A:

Sie lügt nicht.


M:

Was ist los mit euch?


G/F:

Nichts.


M:

Klar. Das kenn ich schon.


A:

Nein.


M:

Wollt ihr nicht lieber schauen, was in der Kiste ist?


A:

Das darf man nicht.


M:

Warum?


A:

Dann läuft alles raus.


M:

Ich schau gleich, was in dir ist, du verhinderter Kaffeeautomat.


A:

In mir ist nichts. Ich bin nur ein Kasten.


M:

U. das ist nur ein Koffer?


A:

Ja.


M:

U. was ist so besonderes an dem Koffer?


A:

Er ist besonders.


M:

Ja. Er nässt. Er pisst Rotes. Nierenkranker Koffer.


A:

Nein. Lass ihn in Ruhe.




F singt:

Ich las einst ein Buch, das sagte deine Worte, ich wartete auf Besuch an unsrer Sehnsuchtspforte.


M:

Gott!


G:

Ja?


M:

Was willst du denn?


G:

Nichts.


A:

Stimmt nicht. Er lügt.


G:

Ich lüge nie.


A:

Du bist die Lüge.


G:

Ach Gott, wie oft hab ich das schon gehört.


A:

Stimmt.


F singt:

Ich nahm einst eine Hand, die fasste feste zu, ein unzerreißbares Band, auf dem geschrieben stand: du


M:

Der steigt das Putzen in den Kopf.


F:

Hörte es auf, wäre es unerträglich.


A:

Stimmt.


G:

Nein, mach das weg, mach’s weg. Es erinnert mich an einen Traum: Ich lag auf einer Wiese u. da fiel die Erde über mich u. aus der Erde sickerte es rot. U. viele Jahre musste ich von dem Rot leben, die Hände fest ins Erdreich verkrallt.


A:

Der ist nicht besser als ich.


G:

Ich schalt dich gleich aus.


A:

Nicht möglich. Das liegt nicht in deiner Macht.


G:

Was weißt du schon! Ich würde es nicht darauf anlegen. Der da (auf M zeigend) hat es auch nicht kapiert.


M:

Mir steht jedenfalls nicht der Angstschweiß auf der Stirn.


G:

Das ist normal. Das glaubt ihr alle.

Die wird ja mit dem Putzen nicht fertig.

Was macht denn die?

Könnt ihr nicht einmal mit etwas fertig werden?

Alles beginnt ihr, nie kommt ihr zu einem Ende. Stets sterbt ihr unterdes.

An mich denkt keiner dabei. Die stets neue Hoffnung, die stets neu enttäuscht wird.

Es ist nicht einfach. Was denkt ihr? Ihr könnt froh sein. U. badet doch nur im Frohsinn.

Irgendwann muss das Ding doch ausgelaufen sein.


A:

Ich bin euer …


M:

Fängt das schon wieder an.


A:

Jedenfalls wird es nie leer laufen.


F:

Ein Glück.


G:

Was redest du da? Gib mir meine Tabletten.


F:

Ich hab das Zeug weggeschmissen.


G:

Du dumme Schneeganz, über u. über besudelt. Ich verfluche dich. Du wirst nie zur Ruhe kommen. Du wirst, wie ich, nie den Boden unter den Füßen spüren. Du wirst schwach bleiben u. doch Starksein spielen müssen. Du wirst gebeugt sein, je mehr, je mehr du dich trotzig aufrichtest.

Ich lasse dich wieder Stühle zersägen.


A:

Der redet nur.


M:

Sie waren das? Ich erinnere mich. Ich hab jetzt noch Schwielen u. Blessuren an den Händen.


G:

Sei froh, dass du überhaupt was hast. Ich hätte euch nichts geben sollen. Ich hätte euch meine Qual erleben lassen sollen.


A:

Der redet nur.


M:

Ich steck dir gleich den Koffer ins Maul.


A:

Das darfst du nicht.


M:

Wenn du mein Ding bist, wie du immer wieder betonst, dann hilfst du mir.


A:

Nein, dann wäre ich nicht dein Ding.


M:

Du bist ja ein Pädagoge!


A:

Gott bewahre!


G:

Wusste ich doch, dass du umfällst.


A:

Verzeih!


F singt:

Ich ging in eine Bar, wo ich ihn stehen sah, er war einfach da u. war mir ganz nah.


A:

Stimmt.


M:

Wann denn?


G:

In der Nacht da…


M:

Das haben wir jetzt aber auch schon oft genug gehört.



G:

Stimmt.


A:

Das ist mein Text!


F lacht:

Ich bin froh, dass ihr da seid. Bald hab ich Schichtwechsel.


G:

Was soll das heißen? Der ganze Boden ist noch voll.


F:

Glaubst ich mach das rund um die Uhr? Alles hat seine Zeit.


A:

Das ist nicht von ihm.


G:

Das will ich nicht gehört haben.


A/F:

Doch.


F:

Doch, ich mach bald Schichtwechsel. Mein Eimer ist schon ziemlich voll.


A:

Ist noch ganz leer.


F:

Verrat nicht alles.


M:

Ich will dich küssen.

(leise) Dich umarmen. Dich halten. Halt mich. Ich bin kummervoll. Ein Kind. Ein weinendes Kind. Eine Larve. Eine hautlose Larve. Eine gekrümmte Reizhautlarve. Eine sich kringelnde Wimmerreizhautlarve. Könntest du mich lieben?


A leise:

Wer weiß das schon.


G zu M:

Du bleibst, wo du bist.


F:

Ich bin nicht hergerichtet.


G:

Bist du nie.


A:

Stimmt nicht. Sie ist immer hergerichtet. Sie ist immer schön. Unglaublich schön. Das kannst du nicht verstehen, das Unglaubliche. Du weißt nicht, was Schönheit ist. Sie ist nicht für dich hergerichtet. Aber sie ist es. Sie hat es lediglich vergessen.

Wenn ihr Haar fällt und sie den Kopf leicht neigt; wenn sie beleidigt schaut, wenn sie die Lippen zu einer Idee schürzt und wenn sie lacht; wenn sie spät in der Nacht lacht, dann ist sie schön. Unglaublich schön. Dann wird er zum Ungläubigen. Selbst wenn ihre Lippen schwarz vom Wein sind, ihre Zähne blau vom Tannin, ist sie schön. Selbst wenn sich die Spuren des Lebens in ihr Gesicht eingraben, ist sie schön. Ist sie schön wegen dieser Spuren. Selbst wenn sie sich gehen lassen sollte, nur noch kriechen u. sabbern sollte, wird sie schön sein. Selbst wenn sie hässlich ist, ist sie schön; selbst wenn sie in sich versunken ist, die Arme um sich verschlungen u. mit der ganzen Welt nichts zu tun haben will, ist sie schön. Wenn sie den Kopf schüttelt u. alle von sich weist, ist sie schön. Wenn sie sich heimlich etwas von ihm stielt, ist sie schön. Wenn sie ihn so gar nicht zu verstehen können glaubt, weil es ihr zu bekannt vorkommt, was er sagt, oder zu dumm, ist sie schön. Selbst wenn sie nicht schön sein will u. auch nicht schön ist, ist sie schön. Gerade dann ist sie schön. Das wirst du nicht verstehen. Diese Unglaublichkeit. Wozu braucht er dann noch einen Glauben, frage ich dich?

(pathetisch auf G zeigend)

Sie ist, so spreche ich, der ich stets wahr spreche, nicht für dich hergerichtet.


G:

U. für wen dann bittschön?


A:

Fü…


G:

Halts Maul. Ich weiß ja. Er aber nicht.


M:

Wer?


G:

Du bestimmt!


M:

Immer ich.


A:

Wenn er wüsste. Aber er weiß ja.


M:

Was.


A:

Alles.

Alles Wichtige zumindest.


F:

Ihr habt Probleme. Können wir bald los?


G:

Jetzt schon?


F:

Ja, die Zeit ist rum.


A:

Stimmt.


M:

Mir ist so komisch ums Herz.


G:

Fang jetzt nur nicht auch noch an zu reimen. Ihr nervt mich mit euren Gedichten.


A:

Weil sie nicht …


G:

Weil sie was?


A:

für dich …


G:

Ach, halt’s Maul.


A:

Hab keins. Bin nur ihr Ding.


G:

Das ich nicht lache. Das war immer schon ich.


A auf den Boden zeigend:

Das ist dein Ding.


G:

Wenn’s meins ist, kann sie’s auch wegmachen. Ich befehle es.


F:

Nein, zu spät, die Zeit ist um. Es wird Zeit, dass wir in den Heizungsraum gehen.


M:

Was wollen wir denn da?


A:

Durchbrennen.


F:

Ach, man muss nach der Heizung schauen. Sonst wird’s kalt u. ungemütlich.


G:

Mich friert. Das ist Gefrierflüssigkeit da auf dem Boden. Immer hat es mich gefroren. Ihr wisst ja nicht, wie das ist.


F:

Würdest du mal was arbeiten, würde dir auch warm. Aber wir schauen jetzt ja nach der Heizung.


A:

Ich will nicht mit. Ich weiß, was kommt. Das ist nicht mein Ding.


M:

Mitgehangen, mitgefangen. Außerdem bist du doch angeblich unser Ding, also kommst du mit. Ich schieb dich alter Freund.


A:

Pass auf, dass ich nicht abstürze.


M:

Keine Sorge. Langsam gewinn ich euch alle richtig lieb.


G:

Nein, die Liebe ist mein.


A:

Das ist mein Metier.


G:

Hä?


A:

Ach. nichts.


G:

Gut. Die Liebe ist mein.


F:

Nein. Nein. Nein.

(lacht)

Das weiß ich nun wirklich.


G:

Weiber.


M:

Sprich nicht so mit ihr.


G:

Du bist raus aus dem Spiel, also sei still.



A:

Stimmt nicht.


G:

Haltet doch alle einfach die Fresse.


A:

Du warst auch schon mal zitierfähiger.


G:

Was weißt du schon?


A:

Alles.


F:

So. Genug rumgealbert, Kinder.


A:

Stimmt.


F weint:

Schön war’s schon.


M:

Was ist nun schon wieder los.


F:

Nichts.


M:

Nie sagst du den Grund.


F:

Das ist nicht mein Ding.


A:

Aber ich.


F zu G:

Steh endlich auf.


G auf Zehenspitzen durchs Rot laufend:

So eine Scheiße.


A lacht:

Du warst wirklich schon mal besser.


G:

Ach, lass mich in Ruhe, du Arsch.

(rutscht aus, fällt hin)

So ein verdammter Scheiß.

Ich schmeiß den Koffer …


A:

Nein, das darfst du nicht.


G:

Ich weiß.


A:

Mein Text.


G:

Ich weiß.


A:

Mein Text.


G:

Ich weiß.


M tritt G ans Schienbein:

Weiter!


A:

Danke. Beinahe!


F:

Los jetzt.


A:

Lasst mich nicht abstürzen!


M:

Keine Sorge.


F singt:

Er stand an der Bar u. war einfach da, ich konnt nicht gehen, er konnt mich sehen u. als er mich sah, da war ich ihm nah.


A:

Usw.


M:

Kommt jetzt.


F leise:

Hört er mich?


M leise:

Ich hab’s gehört.


G leise:

So ein Scheiß.


A leise:

Stimmt.

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